Christoph Ammann – ein ganz besonderer Reisejournalist

Für seine hervorragenden Leistungen im Tourismus wurde er 2024 mit dem Ehrenpreis
der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten e.V. (VDRJ) ausgezeichnet, in der Branche zählt er zu den erfahrensten seiner Art im deutschsprachigen Raum. Der Schweizer Christoph Ammann meisterte in seiner Karriere verschiedenste Herausforderungen. Die wohl größte: In den vergangenen Jahren musste er seine Passion ohne sein Augenlicht leben. Ein Interview über besondere Hotelaufenthalte, neue Zielgruppen und die Notwendigkeit von Hotel-Rankings.

Christoph Ammann

Herr Ammann, welcher Hotelaufenthalt wird Ihnen auf ewig positiv im Gedächtnis bleiben? Blicken Sie da gern weit zurück.

Ich bin als junger Journalist ins kalte, manchmal auch warme Wasser des Themengebiets Reise und Hotellerie gesprungen. Meine erste große Reportage führte mich 1986 in die Vereinigten Arabischen Emirate, in die Stadt Schardscha, etwa 20 Autominuten von Dubai entfernt. Wie mein Hotel damals hieß, erinnere ich mich nicht mehr, aber heute läuft es unter dem Namen Radisson Blu Resort Sharjah. Dafür weiß ich noch genau, wie sehr es mich beeindruckt hat. Allein schon die Architektur in Form einer Art missglückter ägyptischer Pyramide mit einem gigantischen Atrium, von dessen Galerien die Zimmer abgingen … Für mich war das ungemein exotisch, umweht von einem Hauch großer, weiter Welt. Nach heutigem Standard war das Haus sicherlich nicht sonderlich luxuriös, doch es stellte ein absolutes Schlüsselerlebnis dar, denn ich bin der Branche seitdem treu geblieben.

Welches Hotel hat Sie kürzlich positiv beeindruckt?

Da muss ich unspektakulär, aber ehrlich antworten: das Westin Grand in Frankfurt. Ich war in der Stadt, weil mir der Ehrenpreis der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten
verliehen wurde, und buchte recht kurzfristig eine Verlängerungsnacht. Das Hotel war von A bis  Z hervorragend und das Preis-Leistungs-Verhältnis sensationell. In Zürich hätte ich vermutlich ein Vielfaches berappen müssen.

Welchen Hotelmitarbeiter werden Sie nie vergessen?

Da fallen mir zwei Herren ein. Zum einen der Barkeeper im Hotel Post in Nauders, Tirol, der mit den Gästen gern ein Spielchen spielte, bei dem er Schnapsfläschchen mit Nummern am Boden verteilte. Derjenige, der dann eine bestimmte, von ihm ausgerufene Zahl hatte, musste eine Runde schmeißen. Und dann blieb mir Leon im Gedächtnis, ein junger Mitarbeiter im Spa & Resort Bachmair Weissach in Rottach-Egern. Auf jede unserer Fragen hatte er eine Antwort und war immer zur Stelle. »Der muss geklont sein«, sagte meine Frau wegen Leons Omnipräsenz. Freundlich, kompetent, humorvoll. Solche Leute braucht die Hotellerie dringend!

Welche Urlaubsarten und Ziele liegen derzeit bei Ihren Lesern besonders im Trend?

Viele Leute sehnen sich nach Naturnähe, da punkten also jene Hotels, die in einer idyllischen Landschaft liegen. Deutschland und die Schweiz erfreuen sich nach wie vor großer, vielleicht steigender Beliebtheit – und die Leute wollen definitiv ans Meer. Dazu
sind Skandinavien und Island unter den Zielen, die als »sichere« Urlaubsregion
wahrgenommen werden und bisher vom Massentourismus verschont geblieben
sind.

Was sind für Sie die wichtigsten drei Kriterien, nach denen sich ein hervorragendes von einem guten Hotel abhebt?

Das Erlebnis Hotel ist und bleibt abhängig von seinen Mitarbeitenden, das ist eine so alte wie valide Regel. Wie zuvorkommend sind sie, wie kenntnisreich, diskret und motiviert? Entsteht rasch ein persönlicher Draht zum Gast? Darüber kann kein Interieurdesign, kein
Hightech-Gimmick hinwegtäuschen. Als blinder Mensch bin ich zudem immer
dankbar für nicht allzu verschachtelte Grundrisse und eine klare Führung der Gäste durch Schilder oder blindentaugliche Hinweise. Und: Ich bin kein Fan von fließenden Übergängen zwischen Bad und Schlafbereich, möchte weder die Wanne neben dem Bett noch eine Glasscheibe haben, durch die man mich vom Sofa aus beim Zähneputzen beobachten könnte. Last, not least darf ein Teil des Zimmers gern noch analog, ohne Tablet oder App bedienbar bleiben. Ich war kürzlich in einem Luxushotel in Paris, wo
es keinerlei Knöpfe oder Schalter mehr gab und man für die simpelsten Funktionen ein Informatikstudium gebraucht hätte. Auf der anderen Seite nervt es mich, in Grandhotels abzusteigen, deren technische Ausstattung vor 15 Jahren stehen geblieben ist und man zum Aufladen des Smartphones auf dem Nachttisch erst einmal den Stecker der Leselampe aus der Wand ziehen muss.

Welche Zielgruppe/n haben Hoteliers noch nicht genügend im Blick?

Alleinreisende, ganz gleich ob Frau oder Mann. Und dann die Boomer- und die Erbengeneration, also so die 50- bis 75-jährigen Reisenden, die noch immer und verstärkt über den Globus jetten und über erhebliche Mittel verfügen. Darauf ist manches Haus noch nicht wirklich eingestellt, etwa mit Hilfsangeboten, umfassender Barrierefreiheit, diätetischen Alternativen und Angeboten, die Singles nicht traurig am
Restaurant-Tisch sitzen lassen, angestarrt von den Pärchen ringsherum. Inklusion
bedeutet eben nicht nur, dass man sich ein möglichst diverses Mitarbeiterteam
wünscht, sondern eben auch Gäste unterschiedlichster Façon und Demografie ganzheitlich willkommen heißt.

Wie wichtig und sinnvoll sind Bestenlisten in der Reisebranche?

Rankings helfen beim Überblick, damit man als Urlauber keine Buchung ins Blaue vornimmt. Sie zeigen einem General Manager zudem, wo er und sein Haus aktuell stehen und wo es Luft nach oben gibt. Und auch die Branche erhält hilfreiche Einblicke und einen Motivationsschub. Bei alldem ist und bleibt Transparenz die unverzichtbare
Basis, denn eine Topliste lebt vom Vertrauen. Daher müssen ihre Objektivität und Datenlage über jeden Zweifel erhaben sein. Gleichwohl entscheidet ein Punkt mehr oder weniger nicht über Gedeih und Verderb wie in der Sternegastronomie. Und das finde ich auch richtig so. Ein Hotel ist schließlich ein äußerst komplexes Puzzle.

Sind weltweite Rankings in diesem Kontext bedeutsamer als nationale oder regionale?

Ich denke, hier ist auch in einer globalisierten Welt der kleinräumigere Ansatz zielführender, also etwa ein deutsches oder DACH-Ranking beziehungsweise wenigstens ein Europa-Fokus. Denn aus unterschiedlichsten Gründen kann und sollte man einfach ein Hotel in Berlin nicht mit einem in Bangkok vergleichen, eines in Washington nicht mit einem in Warschau, ein Grandhotel in Genf nicht mit einem in Peking. Das ist unfair und hilft weder Gästen noch Betreibern.

Wohin wird Ihre nächste Reise gehen?

Ich werde im Juni von Zürich nach Cardiff in Wales reisen, mit dem Zug.

Vor welchen Herausforderungen steht die Hotelbranche im Jahr 2024 und
darüber hinaus?

Grundsätzlich haben uns die letzten drei, vier Jahre gelehrt: Was zu Beginn eines Jahres galt, könnte schon im Sommer komplett obsolet sein. Da gibt es zu größtmöglicher Flexibilität und Kreativität schlicht keine Alternative mehr. Suezkanal, Gaza, vielleicht eine Wiederwahl von Trump, das Klima… Die Brandherde in der Welt werden eher
mehr als weniger. Leider. Das alles hat sehr direkte Auswirkungen auf den Tourismus, sei es über Lieferketten, Gefahrenpotenziale, ausbleibendes Schneegestöber oder schlicht eine sinkende Reiselust, sollten sich die Krisen zu arg häufen. Nicht zu vergessen: Wann ist die moralische Grenze erreicht, jenseits derer wir uns Langstreckenflüge schlicht
nicht mehr leisten und damit die Umwelt belasten wollen? Über diese Fragen denke ich viel nach und habe bei meinen eigenen Reisen auch hier und da bereits umgedacht.