Ich sehe mich als Intrapreneur

Marco Zanolari ist der erste »101 Iconic Hotelier of the Year«. Der CEO der Hotelgruppe
The Living Circle über das Entrepreneurship in seinen Genen, die Bedeutung von
Kommunikation in der Führungsarbeit und den Wert des Bauerntums in der Schweiz.

Herr Zanolari, Sie sind der erste »101 Iconic Hotelier of the Year«. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Ich fühle mich sehr geehrt und bin überaus stolz, dass ich solch eine Auszeichnung entgegennehmen darf, zumal es die erste Verleihung dieser Art ist. Das ist für mich persönlich eine unglaublich schöne Geste. Und ich bin sehr gespannt, wie sich das alles
weiterentwickelt.

Was, glauben Sie, hat die Jury dazu bewogen? Wo also liegen Ihre Stärken?

Ich denke, meine Stärke liegt in meiner runden, klassischen Ausbildung in der Fünf-Sterne-Hotellerie, kombiniert mit einer nicht unbedingt alltäglichen Führungskultur. Viele Jahre habe ich für Four Seasons Hotels and Resorts auf unterschiedlichen Kontinenten gearbeitet. Four Seasons war eine spannende Schule, man lehrt dort wertebasiertes Führen. Zudem habe ich Entrepreneurship in meinen Genen. Die Kombination aus Entrepreneurship und Führungsdisziplin hat eine sehr gute Grundlage für mein Wirken geschaffen. Ich arbeite gern, ich lerne gern und bin stets offen für Neues. Sonst wäre es sicher auch nicht gelungen, in Bad Ragaz in relativ kurzer Zeit aus einem Kurhotel ein Lifestyle-Produkt wie das heutige Grand Resort Bad Ragaz zu machen. Das gelingt bei einem so alteingesessenen und traditionsbewussten Haus ganz sicher nicht von heute auf morgen. Da steckt sehr viel Arbeit dahinter, sehr viel Motivation, Teamführung,
Glaube und Vision. So etwas kann nur funktionieren, wenn die Menschen daran glauben. Und Menschen glauben nur an etwas, wenn jemand dieses Etwas vorlebt und jeden Tag verfolgt. Das alles erklärt am Ende auch, warum ich den CEO-Posten bei The Living Circle übernommen habe. Für mich ist das eine interessante Reise und für den externen
Betrachter sicher auch, weil es keine typische Hotelierskarriere ist. Bei mir kommen viele Facetten zusammen. Ich denke auch nicht, dass ich der typische Hotelier bin.

Sie sind also eher Entrepreneur als Hotelier?

Ich sehe mich als Intrapreneur. Das bedeutet, dass ich zwar in einem Angestelltenverhältnis arbeite, aber dennoch enorm viel Vertrauen genieße und mich unternehmerisch entwickeln kann. Ich schenke meinen Mitarbeitenden sehr viel Vertrauen, benötige selbst ebenso viel Vertrauen, um erfolgreich zu sein. Ich bin sehr kreativ, aber meine Ideen sind nicht immer Mainstream. In der Regel sind sie fruchtbar, ab und zu aber auch einmal nicht. Ich gehe zudem mit Rückschlägen anders um als andere in unserem Kulturkreis. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass ich lange in den USA, im Mittleren Osten und auch in Asien tätig war. Ich sehe Rückschläge nicht als Hindernisse, sondern als eine Lernstufe. Für Mitarbeitende schafft das eine Umgebung, in der sie ausprobieren können, sollen und dürfen. Dieses vertrauensbasierte Führen macht mich als Führungsperson runder. Ich bin sehr ehrlich mit meinem Team und gebe sehr viel Feedback. Das ist sicher eine sehr spezielle Führungskultur.

Marco Zanolari

 

 

Sie sprachen von Rückschlägen. Seit vergangenem August sind Sie bei The Living Circle. Gab es denn in dieser Zeit schon Rückschläge in Bezug auf das, was Sie vorhaben mit dem Unternehmen?

Mein Lebensmotto lautet: Understand, before be understood. Das heißt, ich nehme mir Zeit, um ein Unternehmen und seine Abläufe zu verstehen. Ich glaube fest daran, dass die Leute Gutes tun. Das hat mich auch sehr viel Gutes gelehrt. Und entsprechend: Nein, ich habe keine Rückschläge erlebt, weil ich eine andere Erwartungshaltung habe. Es geht mir darum zu verstehen, warum Dinge so sind, wie sie sind, und dann schrittweise Anpassungen und Korrekturen vorzunehmen, um die Zukunft positiv zu gestalten. Die eine, die richtige Richtung per se gibt es nicht. Es gibt eine Vision, die man verfolgen möchte, und unsere Vision bei The Living Circle ist eine sehr gute.

Dazu brauchen Sie die richtigen Mitarbeiter.

Ich brauche zunächst eine funktionierende Teamkultur, um eine Vision verfolgen zu können. Mein Fokus liegt zuerst eher auf den Menschen, nicht so sehr auf dem Produkt. Das ist sicher ein spannender Ansatz. Die Zeit seit meinem Antritt ist sehr schnell vergangen. Wir haben seitdem neue Unternehmenswerte implementiert und sind gut aufgestellt für die Zukunft. Ich freue mich sehr, diese Vision gemeinsam mit dem Team umzusetzen.

Können Sie Ihren Fokus auf die Menschen ein bisschen näher erläutern?

Mein einleitender Fokus liegt auf dem Teambuilding. Mir ist ein regelmäßiger Austausch wichtig und ich möchte die Bedürfnisse und Wünsche meiner Mitarbeitenden verstehen. Wir sind dann auf einer Wellenlänge, einer Frequenz. Dann ist es Zeit, dass ich mich dem Produkt widme. Und zwar mit einem Team, das die gleiche Sprache spricht und die
Hintergründe versteht.

Haben Sie in dieser Zeit denn schon viele personelle Veränderungen vorgenommen?

Nein, ich lasse mir immer sehr viel Zeit, denn ich glaube eher daran, dass man in etwas hineinwachsen kann und dass man Mitarbeitende mit der richtigen Motivation befähigen kann. Ich bin nicht der Typ, der sofort alles besser weiß und entsprechende Mitarbeitende austauscht. Das wäre nicht förderlich für ein gutes Miteinander und die Unternehmenskultur. Veränderungen gab es auf natürlichem Weg, aber das ist ja oft so.

Geht es also eher darum, eine Veränderung im Mindshift der Mitarbeiter herbeizuführen

Ein Ziel und eine Vision sollten klar und verständlich sein. Stringente Kommunikation ist das A und O. Wenn ich die Kommunikation im Griff habe, die Leute um mich herum die gleiche Kommunikation anwenden und die gleiche Sprache sprechen, dann entwickelt sich eine Eigendynamik, die nicht mehr zu bremsen ist. Ab dem Punkt wird es dann richtig spannend. Diese Dynamik muss ich erst schaffen, bevor ich anfange, große Veränderungen vorzunehmen.

Kommen wir zum Produkt: Welches Alleinstellungsmerkmal hat The Living Circle?

Das sind sicher unsere drei landwirtschaftlichen Betriebe, die wir in die Gruppe einbinden dürfen. Hier in Zürich – in Herrliberg, um genau zu sein – haben wir das Schlattgut. Von
diesem Hof beziehen wir vor allem Milch sowie Eier von etwa 1000 glücklichen Hühnern. Unsere Fleisch- und Wurstprodukte erhalten wir aus dem Jura. Da renovieren wir auch bis in den frühen Sommer 2024 das Château de Raymontpierre und eröffnen es im Juni als unser kleines Private Hideaway. Im Süden, in Ascona, wiederum haben wir zum Beispiel unsere Cantina alla Maggia, wo wir unseren eigenen Wein produzieren. Dort bauen wir auch seit Langem unseren eigenen Reis an – das war vor 40 Jahren ein absolutes Novum.

Reisanbau in der Schweiz?

Es ist tatsächlich das nördlichste Gebiet, in dem Reis in diesem Umfang angebaut wird. Natürlich spielt da das Tessin mit seinem Klima eine wichtige Rolle. Gleichzeitig beziehen wir von dort Weizen, Mais oder Polenta für unsere Restaurants. Wir haben das Thema auch in unseren Claim »Luxury fed by Nature« eingebaut. Wir kommunizieren unsere
Nähe und unsere Verbundenheit zur Natur aktiv an unsere Gäste. Wir leben unsere Höfe und machen sie erlebbar, geben Feedback an unseren Önologen, wie die Verschnitte der Weine für den Geschmack sein sollten, der in der jeweiligen Stadt vorherrscht. Wir binden unsere Sommeliers und Köche stark mit ein, was auch deren Aufgabe irgendwie
einzigartig und spannend macht. Und das ist schon etwas anderes, als wenn ich nur sage: »Ich kaufe meine Ware lokal.« Das macht irgendwie jeder.

Verkaufen Sie die Produkte denn auch weiter?

Ja, sie sind im freien Markt erhältlich. Wir sind natürlich der erste Kunde. Wenn wir weniger Produkte haben, zum Beispiel nach einer schlechteren Ernte, werden zuerst unsere Restaurants beliefert. Wir sind wirklich sehr stolz auf unsere Produkte, in die wir sehr viel Herzblut stecken. Entsprechend verkaufen wir sehr gern, wenn wir genügend
davon haben.

Das alles klingt danach, dass Luxus in Ihren luxuriösen Häusern anders
daherkommt.

Wir wissen ja alle, dass sich der Luxusbegriff rasant verändert. Das ist auch ein Alleinstellungsmerkmal unserer Gruppe: Wir haben eine eigene Landwirtschaft und ziehen damit den Wert des Bauern wieder ganz weit nach oben, wir zelebrieren sozusagen das Bauerntum. Die Gäste sind viel bewusster geworden, was Nahrungsmittel betrifft. Diese Erlebbarkeit des Essens, die Erlebbarkeit der Natur in den Mittelpunkt des Luxus zu stellen, finden wir sehr spannend. Das erzeugt eine Energie, die die Gäste spüren, wenn sie in eines unserer Häuser kommen, aktiv oder inaktiv.